Zeitzeugen

Zur Methode der Zeitzeugeninterviews

Zeitzeugeninterviews bieten eine gute Gelegenheit mit einer Jugendgruppe sich über die Vergangenheit und den Ereignissen zur Nazizeit zu beschäftigen.
Entwickelt eine zentrale Fragestellung, einen Themenschwerpunkt, der euch interessiert!
Beispiele: Wie haben die Nationalsozialisten in unserer Stadt in der Reichspogromnacht gewütet?
Überlegt, wie ihr unterschiedliche Zeitzeugen finden und gewinnen könnt: Verwandte in der eigenen Familie befragen oder Zeitzeugenbörsen (siehe unter Links) nutzen.

Die Phase der Vorbereitung
Damit es gelingt, muss ein Zeitzeugeninterview gründlich vorbereitet und sorgfältig durchgeführt werden. Dabei sind verschiedene Dinge und Arbeitsphasen zu beachten. Bei der Vorbereitung des Interviews sollte man:

  • sich so gut wie möglich mit dem Thema und dem historischen Hintergrund vertraut machen,
  • sich ausreichend über den Zeitzeugen informieren,
  • sich klar machen, worüber genau man im Interview etwas erfahren möchte, und entsprechende Fragen notieren,
  • den Zeitzeugen gut über den Zweck des Interviews informieren, damit er weiß, worauf er sich einlässt,
  • sich darauf einstellen, dass der Zeitzeuge eventuell auch sachlich oder moralisch Fragwürdiges berichten könnte,
  • sich alle technischen und anderen Hilfsmittel (Aufnahmegerät, Notizblock, Fragenkatalog usw.) bereitlegen und überprüfen.



Die Phase der Durchführung
Bei der Durchführung des Interviews sollte man:

  • auf eine freundliche Atmosphäre, eine nette Ansprache und einen höflichen Gesprächston achten, damit sich der Zeitzeuge wohl und nicht bloßgestellt fühlt,
  • das Interview mit einer möglichst weit gefassten Frage beginnen, um das Gespräch in Gang zu bringen,
  • unbedingt Fragen vermeiden, die eine Wertung enthalten, die den Zeitzeugen in eine bestimmte Richtung drängen könnte,
  • immer nur eine Frage stellen, nicht mehrere gleichzeitig,
  • darauf achten, dass die Fragen kurz und präzise sind,
  • die Erzählung des Zeitzeugen möglichst nicht durch Nachfragen unterbrechen, sondern weitere Fragen lieber notieren und im Anschluss stellen,
  • den Zeitzeugen durch gezielte Fragen wieder auf das eigentliche Thema zurückbringen, falls er zu sehr abschweift,
  • bei jedem neuen Themenabschnitt darauf achten, dass der Zeitzeuge seinen damaligen Aufenthaltsort und seine Rolle deutlich macht, damit man später nachvollziehen kann, ob er tatsächlich Augenzeuge des Geschehens war oder ob er seine Informationen aus anderen Quellen erhalten hat,
  • die Berichte des Zeitzeugen nicht infrage stellen, auch wenn er sachlich Falsches erzählt,
  • dem Zeitzeugen durch Blickkontakt, Nicken und eventuell Kommentare zu verstehen geben, dass man seinen Ausführungen aufmerksam folgt,
  • sich Notizen machen, aber nicht versuchen, alles mitzuschreiben, was der Zeitzeuge sagt, weil ihn dies irritieren könnte,
  • ein Verlaufsprotokoll anlegen, in dem man Eindrücke zur Gesprächsatmosphäre, zu Gefühlsäußerungen des Zeitzeugen und andere Dinge festhält, die nicht mit dem Aufnahmegerät aufgezeichnet werden können.

Die Phase der Nach- und Aufbereitung
Nachdem das Interview durchgeführt wurde, solltet ihr überlegen was ihr damit weiter vorhabt. Wenn ihr zu einzelnen Bereichen vertiefend arbeiten wollt und z.B. Fragen zu den Örtlichkeiten und weiteren Geschichte der Synagoge verfolgen wollt kann es Sinn machen das Interview oder Teile davon zu verschriftlichen.
Wenn Ihr mit dem Interview bei anderen Veranstaltungen z.B. in einem Gottesdienst oder anderen Gruppenstunden arbeiten wollt macht es Sinn es in Abschnitte aufzuteilen und dementsprechende Abschnitte herauszuschneiden.

Wenn ihr „nur“ das Interview in einer Jugendgruppe führt und darüber anschließende euch austauscht macht das natürlich auch Sinn.

Wenn Ihr sehr intensiv weiter arbeiten wollt, könntet ihr auch noch folgende Schritte unternehmen:
Bei der Auswertung muss man sich genau darüber im Klaren sein, dass der Zeitzeuge im Interview nicht die Vergangenheit schildert, sondern seine Erinnerung an Ereignisse, die schon Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. Es kann sein, dass sich seine heutige Sichtweise stark von der damaligen unterscheidet. Deshalb ist es wichtig, das Erzählte einzuordnen und zu bewerten.


  1. Dazu sollte man in einem ersten Schritt einen tabellarischen Überblick oder einen Zeitstrahl über den Lebensabschnitt erstellen, über den der Zeitzeuge berichtet. In einer zweiten Spalte der Tabelle oder einem zweiten Zeitstrahl kann man diesem Überblick Ereignisse aus dem öffentlichen Leben gegenüberstellen, um zu untersuchen, ob und wie die gesellschaftlichen Ereignisse das Privatleben des Zeitzeugen beeinflusst haben.
  2. Im zweiten Schritt sollte man das Erzählte mit anderen Quellen über den betreffenden Zeitabschnitt (Zeitzeugenberichte, Texte, Fotos usw.) vergleichen, um zu überprüfen, wo es Übereinstimmungen oder Abweichungen gibt und ob das Erzählte in sich schlüssig und vollständig ist. Dort, wo es Widersprüche zu anderen Quellen gibt, ist zu überlegen, wie sich diese erklären lassen.
  3. Im dritten Schritt sollte man versuchen, das Erzählte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, so z. B. aus der Perspektive der damals handelnden Person, aus der Perspektive des heutigen Zeitzeugen und aus der Perspektive des Zuhörers. Das hilft, eine kritische Distanz zur Erzählung des Zeitzeugen aufzubauen, also die Erzählung zu hinterfragen, um zu ermitteln, welche Haltungen, Meinungen und Wertvorstellungen dem Erzählten zugrunde liegen.
  4. Wenn man ein Zeitzeugeninterview durchführt, produziert man also in Zusammenarbeit mit dem Zeitzeugen eine historische Quelle, macht selbst „Geschichte“.



Ein ausführlicher Leitfaden zur Durchführung von Interviews mit vielen Tipps findet sich auch im Internet: www.zeitzeugengeschichte.de/pdf/EG-Leitfaden.pdf


Ulrich Suppus