Als Andachtsanregung eine Meditation aus der Sicht Hagars
"Du bist ein Gott, der mich sieht" (Genesis 16, 13)
Eine Meditation zur Jahreslosung 2023
Nicht gesehen zu werden, ist ein großes Thema in vielen Lebensläufen mit traurigem Verlauf.?
Umso ermutigender ist die Geschichte von Hagar, die deutlich macht,
dass Gott den Hilferuf seiner Menschen hört und sie durch alle Etappen ihres Lebens begleitet.
Ägypten, Sinai, Kanaan, 2000 Jahre B.C.
Ich bin Hagar und lebte als Kind in Ägypten. Meine Familie ist arm, deshalb musste ich bereits früh arbeiten.
Als eine reiche, hebräische Nomadenfamilie mit ihren Schafen und Ziegen vorbeizog, fand ich dort einen Arbeitsplatz als Magd
und machte mich mit ihnen auf die Reise über die im Winter grünen Steppen des warmen Sinais. Im Sommer zogen wir weiter zu den Weidelandschaften Kanaans.
In meiner neuen Umgebung ging es mir zunächst gut. Am Tag gab es zwar viel Arbeit, aber an den Abenden saßen wir an den Lagerfeuern und hörten auf die Geschichten, die die Alten erzählten. Das Oberhaupt der Familie - Abram - war ein gerechter Mann. Er behandelte seine Viehtreiber gut.
Als Magd arbeitete ich mit und sorgte mich um alles, was nötig war. Das ging 10 Jahre so und wir lebten inzwischen im Land Kanaan zwischen dem Mittelmeer
und dem Toten Meer.
Abrams Frau Sara war manchmal traurig, - sie hatte kein Kind bekommen und war nun schon über das Alter hinaus, in dem Frauen gebären.
Eines Tages kamen die beiden auf mich zu: Wie du weißt haben wir keine Nachkommen. Wir wollen, dass du Leihmutter für uns wirst.
Obwohl es sich erst für mich komisch anfühlte, hatte es auch eine schöne Seite: Ich war nun von Bedeutung.
Ich war nicht mehr irgendeine Magd. Ich war nun DIE Magd im Hause, über die alle sprachen und die von den anderen sogar beneidet wurde.
Und: Ich hatte auch die Aufmerksamkeit Abrams, der sich nach meinem Wohlergehen erkundigte.
Ich war nun sozusagen die zweite Frau im Haus. Als ich dann tatsächlich schwanger wurde, konnte ich gar nicht mehr aufhören, zu grinsen.
"Von der Magd zur Mutter des Stammhalters eines der angesehensten Menschen in den vielen Gebieten, durch die wir zogen. Wenn das meine Familie wüsste…"
Doch schon bald bemerkte ich die Kehrseite meines neuen Lebens: Sara wurde eifersüchtig.
Vielleicht hatte ich meinen Stolz auch zu sehr zur Schau gestellt, aber warum sollte ich mich verstecken?
Es wurde immer schlimmer. Sie ging mir aus dem Weg und stritt sich mit Abram über mich, das konnte ich durch die Zeltwände hören. Sara schrie: »Jetzt, wo Hagar weiß, dass sie schwanger ist, verachtet sie mich – dabei war ich es, die sie dir überlassen hat! Du bist schuld, dass ich jetzt so gedemütigt werde." Darauf sagte Abram nur »Sie ist dein Eigentum«, »ich lasse dir freie Hand – mach mit ihr, was du willst!«
Lange weinte ich in dieser Nacht vor Furcht und Scham. Dann lief ich davon, immer weiter in die Steppe, nur weit weg …
An einer Wasserstelle fiel ich zu Boden, trank durstig und hatte alle Hoffnung verloren.
Dann geschah es: Ein Fremder trat auf mich zu, leuchtend und hell. Die Person sah mich an und sprach:
»Hagar, du Magd von Sara, woher kommst du und wohin gehst du?« So hatte sich noch nie jemand nach mir erkundigt.
Ich vertraute diesem Gesandten, ich kann nicht sagen warum, aber ich konnte ihm mein Herz ausschütten und erzählte, dass ich auf der Flucht vor meiner Herrin Sara sei.
Dieser Engel Gottes, denn ein solcher musste es sein, tröstete mich: "Geh ruhig zu ihr zurück und bleib ihre Magd. Ordne dich unter. Ich werde dir so viele Nachkommen schenken, dass man sie nicht mehr zählen kann! Du bist schwanger und wirst bald einen Sohn bekommen. Nenne ihn Ismael, das heiß ›Gott hört‹, denn der HERR hat gehört, wie du gelitten hast."
Inmitten meiner Einsamkeit war ich nun doch nicht mehr allein. Da war jemand mit einem Rat, ja sogar mit einer Verheißung für mein Leben: Ich werde Stammmutter einer großen Nachkommenschaft. Hier in der Steppe würde ich ja nicht überleben können. Auch wenn Sara nun nichts mehr mit mir zu tun haben will, weiß ich, dass jemand anderes mich kennt und sieht. Er hat mich durch seinen Engel mit Namen angesprochen und mich an der Wasserquelle gesehen.
Ich werden dem Brunnen hier einem Namen geben: "Brunnen, des Lebendigen, der mich sieht."
Und ich werde diesem Gott, der mich nicht alleine in meiner Not ließ, einen Namen geben. In der Sprache der Hebräer: El Roi - Du bist ein Gott, der mich sieht!
Ich bin Hagar. Das bedeutet: "Die Fremde". Doch in der Fremde habe ich unerwartet eine kostbare, lebensspendende und frohmachende Nähe erfahren. Gott selbst hat nach dem Rechten geschaut.
Psalm 139, 1-14
HERR, du erforschest mich und kennest mich.
2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest.
5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Christian Uhlstein, Landesjugendpfarrer der EKvW