Israel-Gaza Konflikt

im Interview mit Hendrik Meisel

Blickpunkt: Israel und Gaza – ein Interview mit Esther Rachow


Seit einigen Wochen blickt die Welt wieder verstärkt nach Israel, Palästina und auf den Gaza-Streifen. Die aktuelle militärische Operation der israelischen Regierung ist eine der größten des letzten Jahrzehnts. Das Gebiet des Gaza-Streifens wurde 1967, im Rahmen des Sechstagekrieges von Israel erobert und erst 2005 nach fast 40 Jahren wieder geräumt. Es grenzt an das Mittelmeer mit einer ca. 50 km langen Küste, ebenso wie an Ägypten und Israel. Seit 2007 wird das Gebiet von der radikal-islamischen Hamas kontrolliert. Die Europäische Union, USA und Israel definieren die Hamas juristisch als Terrororganisation. In Gaza leben rund 1,8 Millionen Menschen, das bedeutet rund 5000 Einwohner pro Quadratkilometer. Damit liegt es noch oberhalb der Bevölkerungsdichte von München (4468 Ew/km2), der an dichtesten besiedelten Stadt Deutschlands.

Wir haben mit Esther Rachow, Kultur- und Bildungsreferentin des Beit Ben Yehuda (BBY) gesprochen, wie die gegenwärtige Situation in Jerusalem in ihrem Umfeld wahrgenommen wird.


zur Person:

Esther Rachow leitet das kulturelle und pädagogische Programm des Hauses. In diesem Rahmen entwickelt sie Seminarprogramme und pädagogisches Material, organisiert kulturelle Veranstaltungen und repräsentiert BBY in der Öffentlichkeit. Sie hat Geschichte, sowie Kultur- und Medienwissenschaft in Berlin studiert. Der hauptsächliche Fokus ihrer Arbeit liegt auf den Fachgebieten der Shoa-Education, europäischem Antisemitismus und der politischen sowie kulturellen Landschaft deutsch-israelischer Beziehungen. Esther arbeitet als Pädagogin und Autorin für mehreren Institutionen in Jerusalem.

Was ist in Jerusalem vom gegenwärtigen Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen zu merken und wie beeinflusst es das öffentliche und alltägliche Leben?


Hier in Jerusalem, anders als an vielen anderen Orten, vor allem im Süden Israels, aber auch in Tel Aviv, scheint der Alltag vordergründig wenig eingeschränkt zu sein. Wir haben seit vielen Tagen keinen Alarm mehr gehört, der immer dann ertönt, wenn eine Rakete aus dem Gaza-Streifen Richtung Jerusalem geschossen wird. Gleichzeitig ist Jerusalem als politisches Zentrum, als dezidiert gemischte jüdisch-arabische-Stadt und mit einer unmittelbaren geographischen Nähe zu palästinensischen Ballungszentren wie Bethlehem und Ramallah auch Aushandlungsort des aktuellen Konflikts. Auf der einen Seite bedeutet das, dass sich die Spannungen auch gewaltvoll entladen können, z.B. in Straßenschlachten zwischen der israelischen Polizei/ Militär und palästinensischen Demonstranten. Auf der anderen Seite bleibt Jerusalem aber auch ein wichtiger Ort der Begegnung, an dem Juden und Muslime beispielsweise gemeinsam das Fasten brechen, am Ende eines Tages im Ramadan. Die meisten jüdischen Israelis arbeiten auf die eine oder andere Weise mit arabischen Israelis zusammen und es gibt im Alltag viele Überschneidungen, bei denen dann auch mehr oder weniger über die aktuelle politische Situation gesprochen wird und was das für die jeweils andere Lebensrealität bedeutet. Das hängt aber selbstverständlich von den Personen selbst ab und ich kann da nur für mein unmittelbares Umfeld sprechen.

Was bedeutet dieser Konflikt für das Zusammenleben von Juden und Muslimen in Jerusalem, verändert sich das Miteinander?


Juden, Muslime und Christen unterschiedlichster Herkunft leben in Jerusalem, aber auch in vielen anderen Städten und Gegenden Israels, mehr oder weniger eng zusammen. Dieses Miteinander war schon immer, auch vor der Gründung des israelischen Staates 1948 von bewaffneten und unbewaffneten Konflikten geprägt. Es ist also für alle Beteiligten keine einfache Aufgabe, ein funktionierendes gesellschaftliches Leben aufrechtzuerhalten, was aber zu einem großen Teil passiert. Leider führen so heftige bewaffnete Auseinandersetzungen wie die aktuelle, die vorausgegangene Entführung und Ermordung von drei israelischen Jugendlichen sowie die Ermordung eines palästinensischen Jungen aus Ostjerusalem, immer auch dazu, dass das Miteinander stärker von Misstrauen bestimmt wird. Letztendlich kommt es aber auch hier darauf an, wen man fragt und weder in der jüdischen noch in der arabischen Welt Israels sind die Stimmen homogen. Es gibt arabische Israelis, (solche, die einen israelischen Pass besitzen) die freiwillig in der israelischen Armee dienen oder für israelische Zeitungen schreiben. Andere wiederum, die den Staat Israel als jüdischen Staat nicht anerkennen, genauso wie es jüdische Israelis gibt die sich sehr eindeutig und positiv auf arabische Positionen beziehen und andere, die muslimische und christliche Araber sehr direkt diskriminieren. Ich sehe in meinem momentanen Alltag in Jerusalem viele Menschen, die versuchen sich gegenseitig zu zeigen, dass sie weiterhin Respekt voreinander haben und sich für den Anderen interessieren, aber das ist wie gesagt meine persönliche Wahrnehmung die mit meinem Umfeld zusammenhängt. Anders sieht es natürlich bei gewalttätigen Übergriffen aus, die zur Zeit auch vermehrt stattfinden. Das heißt auf der einen Seite gibt vereinzelt Fälle, in denen jüdische Jugendliche, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, arabische Jugendliche öffentlich angreifen und auf der anderen Seite gibt es heftige Ausschreitungen von palästinensischen Jugendlichen gegen israelische Sicherheitskräfte. Das sind natürlich zwei unterschiedliche Sachen, aber jeweils Teil der aktuellen Stimmung in der Stadt.


Ist der Konflikt auch im alltäglichen Leben, z.B. bei Treffen mit Freunden Thema, bzw. wird er in irgendeiner Weise öffentlich diskutiert?


Die aktuelle Militäroperation wird von uns im Prinzip permanent besprochen und die Stimmung ist sehr angespannt und betroffen. Wir beobachten von Jerusalem aus ständig den Raketenbeschuss der anderen Orte - Nachrichtenmeldungen werden mehrmals in der Stunde eingesehen und es gibt kaum jemanden ohne Verwandte, enge Freunde oder nahe Bekannte im Militär - Israel ist ja ein sehr kleines Land. In der israelischen Medienwelt ist der aktuelle Konflikt selbstverständlich das Hauptthema. Mehrmals am Tag melden israelische Medienanstalten die Opferzahlen aus dem Gaza-Streifen und zwar auf beiden Seiten. Die Präsenz aktueller Bilder über die Geschehnisse im Gaza-Streifen und die Situation der Menschen, die dort leben, ist sehr hoch, jedoch ist der Fokus stärker auf das gerichtet, was im Land passiert. Es gibt aus verschiedenen politischen Lagern unterschiedliche Einschätzungen der Situation und unterschiedliche Verfahrensvorschläge, die in Diskussionsrunden im Fernsehen ausgestrahlt werden. Viele öffentliche Reaktionen aus Europa oder den USA werden ausführlich medial diskutiert und auch die unterschiedlichen Stimmen aus der Bevölkerung werden mindestens in den Printmedien täglich abgebildet. Der aktuelle Konflikt ist sowohl in Privatgesprächen als auch in den Medien, gerade das mit Abstand wichtigste und vordergründigste Thema und ich denke, das ist auch selbstverständlich.


Gibt es aus deiner Sicht die Hoffnung auf Frieden im Moment und was müsste dafür getan werden?


Diese Hoffnung gibt es, obwohl sie stärker getrübt ist, als das noch vor 20 Jahren der Fall war. Was dafür getan werden müsste, hängt meiner Ansicht nach von so vielen inneren und äußeren Faktoren ab, dass ich mir nicht anmaßen möchte hier eine Analyse abzugeben. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist seit seinen Anfängen eingebettet in globalpolitische Zusammenhänge und eng verwoben mit politischen Veränderungen, die ständig im gesamten Nahen-Osten stattfinden, aber auch mit Entscheidungen internationaler Gremien wie der UN (United Nations). Dass die Situation heute so ist, wie sie ist, hängt in meinen Augen von all diesen Entwicklungen ab und die Zukunft der Region ebenso. Für uns, die Menschen, die hier zusammenleben wollen, ist sicherlich das wichtigste weiter zu versuchen menschlich zu bleiben, auch vor dem Hintergrund von Angst und Bedrohung, so dass es in ruhigeren Zeiten eine bessere Basis gibt eine gute demokratische Gesellschaftsstruktur auszubauen und zu halten.

Vielen Dank für das Interview!