Baustein Gottesdienst

Gottesdienst „Nachbarn“ im Rahmen der Kampagne ERINNERN ERKENNEN ENGAGIEREN

 

Dieses sind Bausteine für einen Jugendgottesdienst (ca. 45 Minuten). Er kann so übernommen werden, aber natürlich ist es immer wünschenswerter, wenn Jugendliche ihre eigenen Ideen, ihre eigenen Impulse einbringen, ihre eigene Sprache benutzen und die ihnen vertrauten Lieder auswählen. So kann dieser Entwurf auch nur als ein Leitfaden genutzt werden, der an vielen Stellen ergänzt oder durch eigene Bausteine ersetzt wird. 

Musik: (3 Min.)

Einleitung:  (1 Min.)

 

Genau 75 Jahre ist es her, als in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 Nationalsozialisten in ganz  Deutschland jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen überfielen. Die Nazis zerstörten jüdische Wohnungen und Geschäfte, plünderten ihr Hab und Gut, setzten Synagogen und andere Gebäude in Brand, fügten in jener Nacht und der darauf folgenden Zeit vielen Menschen entsetzliches Leid zu.  Im Rahmen einer Kampagne der Ev. Jugend „ERINNERN ERKENNEN ENGAGIEREN“ feiern wir diesen Gottesdienst. Wir wollen uns erinnern, damit nicht in Vergessenheit gerät, was vor 75 Jahren geschah. Wir wollen aus der Erinnerung lernen und erkennen, was heute um uns geschieht, damit sich so etwas oder ähnliches nicht wiederholt. Wir wollen uns engagieren gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen Gewalt und Hass.

So feiern wir diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen.

 

Lied: Gott gab uns Atem, damit wir leben… EG 432

Meditation:  (1.30 Min.)

Es waren jene,
die uns nicht fremd waren
mit denen wir Tür an Tür wohnten
mit denen wir zur Schule gingen
mit denen meine kleinen Geschwister auf der
Straße spielten

mit denen wir manchmal im Hof saßen und Kaffee tranken
mit denen wir über Gott und die Welt plauderten
mit denen wir Musik austauschten
die durch die Wände hörten, wenn wir laut stritten oder lachten

über die man uns plötzlich erzählte:
Es sind jene,
die uns nicht fremd sind
mit denen wir Tür an Tür wohnen
mit denen wir zur Schule gehen
mit denen meine kleinen Geschwister auf der Straße spielen
mit denen wir manchmal im Hof sitzen und Kaffee trinken
mit denen wir  über Gott und die Welt plaudern
mit denen wir Musik austauschen
die durch die Wände hören, wenn wir laut streiten oder lachen

über die man uns plötzlich erzählt:

sie seien fremd, anders, unwürdig, schuld

        denen man,

in jener Nacht am 09. November 1938

die Fenster zerschmiss, Hab und Gut  plünderte,

die Möbel anzündete,

alles nahm: ihr Zuhause, Geborgenheit,

Menschenwürde, Gerechtigkeit…

 

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und

deinen Nachbarn

wie dich selbst. … Tu das, so wirst du leben.“  (Lukas 10, 27-28)

Gebet:  (0.30 Min.)

Gott, wo Rassismus keimt und Fremdenhass einen Raum bekommt, ist der Willkür der Gewalt die Tür geöffnet. Darum Herr, erbarme Dich und gib uns einen wachen Geist, Deinen Geist des Friedens und der Liebe, der Hass und Gewalt widersteht, der die Freude an Verschiedenheit weckt und Menschen verbindet. Amen.

Lied:Ubi Caritas / Wo die Liebe wohnt…EG 587 (1 Min.)

Hörspiel:  (8 Min.) Nachbarn!  

(Dieses Hörspiel, im Originaltitel „Scherben“, dürfen wir mit freundlicher Genehmigung von Hörpol [1] „Erinnerung für die Zukunft“, einem Projekt von Hans Ferenz verwenden. Die Audioepisode beinhaltet zwei wahre Geschichten. Beide spielen in Berlin: 1938 und 2002. Ich empfehle das Hörspiel nach 7:07 Min. zu stoppen. Es endet mit der Frage Herrn Noahs: „Darf man den Nachbarn, die sich aus Angst nicht trauen, sich gegen die Aktionen der Neonazis zu wehren, einen Vorwurf machen?“ – Die Gottesdienstteilnehmenden werden anschließend gebeten, sich in kleinen Gruppen zusammenzufinden und die Frage Herrn Noahs zu diskutieren.)

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Gruppengespräch: (10 Min.)

(Weiterführende Fragen könnten die folgenden sein. Möglicherweise kann man aus den Antworten ein oder zwei Fürbitten formulieren und aufschreiben, die später im Gottesdienst verlesen werden können.)

  • Hätten die Nachbarn damals und heute etwas tun können?
  • Was hätten sie tun können?
  • Was können und müssen wir tun?
  • Was können wir trotz Angst tun?

Lied: Einander brauchen mit Herz und Hand… (Mein Liederbuch, Band 1, 1981) (3 Min.)

 

Impuls: „Wer ist Dein Nachbar?“ (7 Min.)

Jesus sagt:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nachbarn

wie dich selbst. … Tu das, so wirst du leben.“  (Lukas 10, 27-28)

 

Aber wer ist schon mein Nachbar?

(Zwei Jugendliche treffen sich auf der Bühne, einer hört mit Kopfhörern Musik.)

Person 1: Hey, was hörst du denn da?

Person 2: Ärzte – „Lasse Reden“ ( Musikausschnitt über Lautsprecher kurz einblenden )

Person 1: Nachbarn. Wenn du Nachbarn hast, brauchst du keine Feinde mehr. Tratsch und Klatsch ohne Ende.

(die beiden Personen verlassen die Bühne)

(weitere Personen betreten hintereinander die Bühne mit folgenden Spotlights)

Person 3: Schon gewusst? Das Wort Nachbar ist ursprünglich von dem Begriff „naher Bauer“ abgeleitet  und heißt so viel wie: „naheherbei Lebender“.

Person 4: Schon mal gehört?: „Was sollen bloß die Nachbarn denken?“

Person 5: : In einer Umfrage von 1972 sagte ein Großteil westdeutscher Mieter: „Rauschgiftsüchtige, Negerfamilien, Gastarbeiter, Schwachsinnige und Körperbehinderte“ seien „unerwünschte Nachbarn“.[2]

Person 6: Bei uns im Haus wohnt eine alte Frau, die etwas verwirrt ist. Manchmal geht sie im Nachthemd auf die Straße. Aber alle Nachbarn wissen das und sobald einer sie so sieht, kümmert er sich und bringt die Frau wieder behutsam in ihre Wohnung zurück.

Person 7: Meine Uroma sagte, früher gab es die Notnachbarn. Das waren die, die direkt links und rechts neben einem wohnten. Wann immer in der Familie „Land unter war“ waren die Notnachbarn zur Stelle und halfen aus.

Personen: 1 und 2 betreten wieder die Bühne

Person 1: Wer sind eigentlich Nachbarn? Ist doch irgendwie ein komisches Konstrukt!

Person 2: Nachbarn sind die, die direkt neben mir wohnen, quasi Tür an Tür. Eigentlich Fremde, aber dann doch wieder so nah, fast vertraut. Die hören ganz viel durch die Wände. Die kriegen mit, wenn ich verheult aus der Tür komme.  Die wissen, wer mich abholt oder wer mich nach Hause bringt. Die kennen meine Unterwäsche, die zum Trocknen auf der Wäscheleine hängt. Die hören, wie schlecht ich Klavier spiele. 

Person 1: Aber sind Nachbarn nicht noch viel mehr? Zum Beispiel, die Leute, die in der Klasse neben einem sitzen? Oder mit wem ich mir die Sitzbank in der Straßenbahn teile? Vielleicht sogar der, neben dessen Fahrrad ich meines an einen Laternenpfahl kette?

Person 2: Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Die kann man doch nicht alle als Nachbarn bezeichnen. Die kennst du doch gar nicht alle.

Person 1: Noch nie was vom Kleine-Welt-Phänomen gehört?

Person 2: Nein, was soll das sein?

Person 1: Eine Theorie, die besagt, dass jeder Mensch, mit jedem x-beliebigen Menschen auf der ganzen Welt um 6 Ecken bekannt ist. – Unsere Welt ist eben vielleicht doch ein Dorf und wenn Nachbar heißt: der „naheherbei Lebende“, dann sind unsere Nachbarn doch einfach  unsere Mitmenschen. Das gibt doch irgendwie ein anderes Verantwortungsgefühl füreinander, wenn man sich als Nachbarn, statt als total Fremde begegnet.

Person 2: Stimmt! Auch wenn ich die meisten Leute, die mir begegnen nicht kenne, das Wort Nachbar und die Vorstellung, das könnte ein guter Freund des Freundes meines Freundes sein, das setzt mich irgendwie in Beziehung zu dem anderen. So ein Gefühl von: irgendetwas verbindet uns.

Person 1: Jesus sagt:. Der Mensch, dem du begegnest, ist Dein Nachbar, dein Nächster. Mit dem sollst du gut umgehen, für ihn Sorge tragen, wie du es für dich auch tust .  „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und

deinen Nachbarn

wie dich selbst. … Tu das, so wirst du leben.“ 

Nur was ich nicht verstehe: Muss es nicht heißen: Tu das, so wird er leben? Also der Nachbar? Einige Leute haben ja tatsächlich 1938 und in den Jahren danach ihre jüdischen Nachbarn versteckt, damit diese eine Chance hatten, zu überleben.

Person 2: Eigentlich ist das ja die Antwort Jesu auf die Frage eines Mannes, der wissen wollte, was er tun muss, um in den Himmel zu kommen, also das ewige Leben zu haben. Und da antwortet Jesus ihm mit diesen Worten aus der Thora und sagt dann: „Tu das, so wirst du leben.“ Ich glaube, damit ist nicht nur gemeint, wenn du hier, in diesem Leben auf deine Nachbarn Acht gibst, wenn du sie schützt, ihnen hilfst, dann bist du ein guter Mensch und kommst irgendwann in den Himmel. Ich glaube „Tu das, so wirst du leben!“ hat schon etwas mit unserem Leben hier und jetzt zu tun. Dein Leben bekommt Tiefgang, es verändert sich, es wird intensiver.  

Person 1: Du meinst, weil es gut tut, jemandem zu helfen? Dem anderen tut es gut und einem selbst auch?

Person 2: Ja, Leben ist eben mehr als wach sein und schlafen, arbeiten und essen… Leben heißt eben auch sich engagieren, Farbe bekennen, helfen. Niemand lebt für sich allein, Gott hat uns in die Gemeinschaft mit anderen gestellt. Das ist ein System, wenn da Hass und Gewalt und Unrecht einziehen, dann geht es allen schlecht, aber wo Menschen den Mut haben, sich gegen Unrecht zu wehren, einem Schwachen zu helfen, da gibt man dem eigentlichen Sinn des Lebens wieder ein Stück Raum zurück.

Person 1: Wäre schon super, einige Leute wären damals mutiger gewesen und hätten sich für ihre jüdischen Nachbarn gegen Hitler und seine Leute  gewehrt.

Person 2: Wäre schon super, einige Leute wären 2002 mutiger gewesen und hätten sich mit ihrem jüdischen Nachbarn, Herrn Noah,  gegen die Neonazis gewehrt.

Person 1: Wäre schon super, einige Leute wären mutiger gewesen und hätten gemeinsam schreckliche  Anschlägen und Ausschreitungen gegen Nachbarn in Mölln, Rostock, Solingen und sonst wo verhindern können.

Person 2: Wäre schon super, wir wären mutig und würden uns gemeinsam gegen Rassismus und Fremdenhass, gegen Gewalt und Ausgrenzung unserer Nachbarn wehren.

Person 1: Gegen den Hass und die Gewalt gegen unsere Nachbarn…

…und gegen Hass und Gewalt unserer Nachbarn!

Person 2: Ganz nach dem Motto: Tut was, so werdet ihr leben!

Personen 1+2: Amen

 

Lied:Ins Wasser fällt ein Stein…EG 659 (2Min.)

Fürbitten: (2Min.) (Hier können die aus den Gruppengesprächen entstandenen Fürbitten verlesen werden.)

Vaterunser (0.30 Min.)

Aaronitischer Segen: (0.30 Min.)

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen

 

Musik (4 Min.)

 

 

Simone Enthöfer, Landesjugendpfarrerin der EKiR

 

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[1] http://www.hoerpol.de „Erinnerung für die Zukunft“ ein Projekt von Hans Ferenz
Auf dieser Seite findet Ihr nicht nur diesen einen Hörbeitrag. Hörpol ist ein Audio-Rundgang durch Berlin-Mitte speziell für Jugendliche. Die Seite ist absolut empfehlenswert. Einen Stadtplan kann man sich herunterladen mit über 50 markierten Orten. Zu den Orten lassen sich Hörstationen herunterladen. Kurze Geschichten, Interviews mit Zeitzeugen, Hip Hop und anderes laden zu einem kurzweiligen Rundgang mit spannenden Hörbeispielen zu den einzelnen Stationen ein. Sowohl für Leute, die mit Jugendlichen Berlin besuchen als auch für Leute, die spannende kurze Episoden suchen, um mit Jugendlichen über die Geschichte in Nazideutschland ins Gespräch zu kommen.

 [2] Saskia Handro, Auch Nachbarschaft hat Geschichte, Spurensuche 2012, S. 20