1. Jugendliche zu Teilhaberinnen und Teilhabern machen
Ein Fachtag des Amtes für Jugendarbeit der EKvW zum Thema "Jung, engagiert und eigenwillig – Die Zukunft der Kirche?!“ im Februar 2019 in Schwerte brachte einen der wichtigsten Faktoren für eine segensreiche Jugendarbeit auf den Punkt: „Nur wenn es gelingt, junge Menschen auf allen Ebenen zu Akteuren kirchlichen Handelns werden zu lassen, werden diese die Kirche der Zukunft bilden.“
Solche Gedanken haben ihr Fundament im christlichen Glauben selbst: „Die Christusgeschichte kennt keine Zuschauer, sie zielt nicht auf Zuschauer, sondern auf Teilhabe“, meinte der Theologe Karl Barth in seinem Tambacher Vortrag im Jahr 1919.Das ernstgenommen heißt für mich zusammengefasst: Die beste Jugendarbeit ist nicht die, die für Jugendliche stattfindet, sondern mit und maßgeblich von ihnen gestaltet wird.
2. Vielfalt der Kulturformen zulassen
Manche Erscheinungsform von kirchlicher Jugendarbeit ist zeitlos. Andere ändert sich von Generation zu Generation. Christlicher Glaube hängt nicht an Formen oder Traditionen, sondern an Inhalten. In unterschiedlichsten Kontexten äußert sich der Glaube in vielerlei Gestalt. Heute sind nicht nur die Musikgeschmäcker unterschiedlich, sondern auch die Menschen plural in Bezug auf ihre Persönlichkeit, ihren Milieuhintergrund und ihre Kultur. Wir können gar nicht von einer Jugend sprechen. Die Jugend differenziert sich in viele Jugend-Subkulturen. „Die Nische ist der neue Mainstream“, so eine Beobachtung in der Popularmusik: In Zeiten von Streaming im Internet gibt es nicht ein paar Dutzend Fernseh- oder Radioprogramme, - es gibt hunderttausende von einzigartigen Nischenkanälen, die teilweise nur einige Interessent*innen bedienen. Nicht mehr das Allgemeine ist gefragt, sondern das Besondere, stellt der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ fest. In vielen Gemeindejugenden drückt sich das in Kleinststrukturen aus, die optimalerweise miteinander vernetzt sind. Die Kunst ist, die gemeinsame Mitte zu finden. Da heutige junge Menschen sich täglich sowohl in präsenten als auch in digitalen Welten bewegen, hat auch Jugendarbeit in beiden Lebenswelten stattzufinden. Digitale Teilhabe ist auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine Frage der Bildungsgerechtigkeit, stellte bereits die EKvW-Synode im Herbst 2020 fest. Dies führt auch zu neuen Formen von digitaler Religion.
3. Ganzheitliche Spiritualität in Wort und Tat ermöglichen
Im Jahr 2019 wurde die Freiburger Kirchenstudie veröffentlicht, die einen Rückgang der Gemeindegliederzahlen und der Ressourcen der Kirche bis zum Jahr 2060 um 50% prognostiziert. In einem Interview äußerte sich EKD-Ratsvorsitzer Heinrich Bedford-Strohm weitsichtig auf diese Prognose: „Die Zukunft der Kirche entscheidet sich nicht an Mitgliedzahlen. Nur eine Kirche, die begeistert und Ausstrahlungskraft hat, wird eine Zukunft haben.“
Eine zukunftsfähige Jugendarbeit schafft Erfahrungsräume, die relevant sind. Dabei geht es nicht um Effekthascherei, sondern um tiefe, authentische Erfahrungen des Lebens. „Was ist für Dich Kennzeichen einer lebendigen Jugendarbeit?“, frage ich junge Menschen. Die 22jährige Renée antwortet: „Ich wünsche mir ganzheitliches Erleben. Mit Bewegung und Musik.“ Und Tim, 23, meint: „In unserer Jugendarbeit erwarte ich primär einen nicht widerspruchfreien, aber respektvollen Umgang miteinander, der vor allem auf gegenseitigem Vertrauen beruht, so dass jede/r sich so verwirklichen kann, wie er/sie es möchte und im Endeffekt immer die Menschen, ebenso sehr wie Gott mit seiner Liebe zu uns und unserer zu ihm im Mittelpunkt stehen.“
Wie begeistert Kirche? Durch frische Ausdrucksformen, die authentisch und nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen selbst sind. Gott muss erlebt werden, wenn Glaube bedeutsam werden soll. Die Art und Weise kann dabei gemäß der Vielfalt Gottes unterschiedlich aussehen. Glauben kann sich im persönlichen Gebet in der Stille oder auch im Handeln und Einsatz für soziale Gerechtigkeit, eine nachhaltige Welt und damit der Bewahrung der Schöpfung ausdrücken.
Ein Schlusswort
Gotteserlebnisse sind unverfügbar. Aber eine Gemeinde kann Rahmenbedingungen schaffen, damit dynamische Jugend- und Gemeindearbeit wachsen kann. Dafür braucht es Mut, von eigenen Erwartungen abzusehen. Und es braucht Vertrauen in junge Menschen, um Ihnen eigene, selbstbestimmte Gestaltungsspielräume zu ermöglichen. Und das wird auch eingefordert: Dominik, 22, drückt einen Wunsch aus, der von vielen in der Jugendarbeit geteilt wird: „Ich wünsche mir für mein Ehrenamt Anleitung, Befähigung und unterstützende Vernetzung durch die Hauptamtlichen und Mittel für unsere selbstverantwortete Jugendarbeit“. Die letzte Shell-Jugendstudie mit dem Titel „Eine Generation meldet sich zu Wort“, bestätigt jungen Menschen die Freude am Gestalten von gesellschaftlichen Wirklichkeiten. Dies sollte Kirche auf allen Ebenen ermöglichen. Letztlich verfolgen Menschen aller Generationen in der Kirche ja das gleiche Ziel: Auf der Suche des Lebens dem vielfältigen Wirken Gottes in der Welt immer mehr auf die Spur zu kommen.
Mit herzlichen Grüßen vom Amt für Jugendarbeit aus Villigst
Christian Uhlstein, Landesjugendpfarrer und Theologische Leitung des Amtes für Jugendarbeit (AfJ) der EKvW, der Zentralstelle der Evangelischen Kirche von Westfalen für alle, die sich an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Westfalen beteiligen, sich für Kinder und Jugendliche engagieren und sie in Kirche und Gesellschaft unterstützen.
www.juenger-westfalen.de