Arbeitshilfe Traumakompetenz

Eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis

Arbeitshilfe „Traumakompetenz für die Kinder- und Jugendarbeit“ bietet Hilfen zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen in und nach außergewöhnlichen Belastungssituationen.

„Auf die Plätze, fertig, los!“ ruft die Spielleiterin. Lisa und Peter sind bereit. Sie halten eine Stange zwischen sich hoch, jeder von ihnen an einem Ende. Es ist der Beginn des Spieleseminars der Gemeinde für Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren. Lisa und Peter wissen: Zusammenarbeit ist hier gefragt.  Es ist nun Miras Aufgabe zwischen den beiden hindurch zu kommen, egal ob über oder unter der Stange. Lisa und Peter beobachten Miras Bewegungen und jeden Durchbruch versuchen sie durch das gleichzeitige hoch oder runter bewegen der Stange zu verhindern. Zu Beginn des Spieles waren sie noch nicht so gut aufeinander abgestimmt, und einige aus der Gruppe haben es auf die andere Seite geschafft. Aber jetzt hat Mira kaum eine Chance. Egal wo sie ansetzt, die Stange ist immer im Weg.
Nach einigen gescheiterten Anläufen, packt Mira die Wut und brüllt „Das ist unfair! Das kann ich doch gar nicht schaffen.“ Sie ist völlig außer sich. Zur Verblüffung aller setzt Mira zu einem Kopfsprung über die Stange an. Sie schaffte es tatsächlich auf die andere Seite und landet unsanft, mit dem Kopf zuerst. Ein fieses Geräusch.
Die Gruppe ist bestürzt und die Spielleiterin bricht das Spiel sofort ab. ?Was ist da passiert? Warum ist sie so ausgerastet und hat sogar ihre Gesundheit riskiert? Nur um die Spielaufgabe zu lösen?
Gefühlsschwankungen  und Affektdurchbrüche gehören für Eltern und Pädagogen bei Pubertierenden und Jugendlichen zum Tagesgeschäft. Manchmal steckt aber auch mehr dahinter.

Trauma
Überall dort, wo Kinder und Jugendliche sind, sind auch Kinder und Jugendliche mit außergewöhnlichen Belastungserfahrungen. Daraus können seelische Wunden entstehen die noch Jahre später Gefühle und Verhaltensweisen hervorrufen, unter denen die Betroffenen und ihre Umgebung leiden.
Traumata sind nicht nur die „ganz großen Dinge“ wie Missbrauch oder tragische Unfälle,  sondern auch die „kleinen Dinge“ wie schwere Demütigung und Mobbing. Ein typisches Verhalten, das auf einer traumatische Erfahrung basieren kann ist, dass Kinder und Jugendliche Forderungen oder Kritik mit spontanen Wutausbrüchen, Gewalt oder Sachzerstörung beantworten. Hier kann der Auslöser eine Ohnmachtserfahrung sein. Weil diese (damals) so lebensbedrohlich empfunden wurde, nehmen die Betroffenen heute lieber alles andere in Kauf, als sich der Ohnmacht erneut auszusetzen.

Wie sich zeigte, spielte erlebte Ohnmacht bei Miras Verhalten während des Spiels eine wesentliche Rolle. Bei einem Besuch im Krankenaus, Mira hatte eine schwere Gehirnerschütterung davon getragen, erfuhr die Mitarbeiterin mehr von ihr. „Das war nicht das erste Mal, dass ich so ausraste. Das passiert manchmal dann, wenn ich mich total hilflos fühle“ erklärte Mira. „Bei dem Spiel hatte ich überhaupt keine Chance die Aufgabe zu lösen“. Sie vertraute ihrer Gruppenleiterin an, dass sie sich dann fühle wie damals, als ihr Opa sie in den Keller gesperrte, sie überwältigende Angst hatte und nichts dagegen tun konnte. Zu erfahren, dass ihr Verhalten auf diesem Hintergrund einen Sinn hat, hat Mira sehr entlastet.

Falscher Film
Betroffene Kinder und Jugendliche reagieren häufig nicht nur einfach auf die aktuelle Situation, sondern agieren aus einem vergangenen, für sie als existenziell bedrohlich erlebten Ereignis heraus. Ein „alter Film“ schiebt sich über das momentane Fühlen und Reagieren. Dadurch wird für die Betroffenen ihr eigenes Verhalten nicht mehr steuerbar.

Hilfreicher Umgang - Traumakompetenz
Was kann man aber als Pädagogen oder Eltern tun, auf die Situation positiv Einfluss zu nehmen? Oder noch weiter gefasst: Was kann ich tun, damit belastende Situationen sich gar nicht erst zu traumatische Erfahrungen werden?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Pfarrerin Sabine Haupt-Scherer, Supervisorin, Traumapädagogin und Traumafachberaterin aus dem Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen bereits seit Jahren. Dabei hat sie für sich zwei wesentliche Schritte identifiziert. Erstens: besser verstehen was eigentlich passiert und zweitens: sich besser verständigen können, sowohl mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen selbst, als auch mit den Kindern und Jugendlichen in deren Umfeld. Traumapädagogik und Traumakompetenz, davon ist die Expertin überzeugt, sind genau der richtige Weg dorthin.

Konzept des guten Grundes
Ein sehr hilfreicher Aspekt sei, so Haupt-Scherer, das Konzept des guten Grundes. Dabei wird bei allen Verhaltensauffälligkeiten davon ausgegangen, dass es für das Verhalten einen guten Grund gibt. Manchmal liege dieser aber nicht in der aktuellen Situation, sondern in der Vergangenheit. Diese Perspektive allein, so berichtet die Theologin, entlaste alle Beteiligten häufig schon so, dass ein wertschätzender Blick füreinander wieder möglich sei.

Gebündeltes Wissen
Aufgrund immer steigender Nachfrage nach Beratungen und Seminaren zu Traumapädagogik und Traumakompetenz hat Sabine Haupt-Scherer ihr Wissen und ihre Erfahrungen nun in einer Arbeitshilfe festgehalten.
Auf 60 Seiten ist es ihr gelungen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse der Psychotraumatologie verständlich zu erläutern und gleichzeitig den Bogen in die pädagogische Praxis zu schlagen. Etliche Beispiele aus ihrer Beratungstätigkeiten sind in die neue Publikation eingeflossen. Diese verdeutlichen eindrücklich, warum Trauma eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis ist. Auch wenn es sich um eine „normale Reaktion“ handele, so (über)fordere sie alle Beteiligten dennoch häufig. Deshalb bietet die Autorin in der Arbeitshilfe auch präzise Hinweise für das pädagogische Handeln in der Kinder- und Jugendarbeit, Jugendhilfe und Schule: „Erste Hilfe für die Seele“ - Begleitung nach Akuttraumata, „Begleitung nach traumatischen Erfahrungen“ sowie „Umgang mit Affekt- und Impulsdurchbrüchen“. Diese Hinweise sind sehr konkret gehalten, bis hin zu bestimmten Formulierungen für Gespräche mit Betroffenen, die sich in der Praxis als hilfreich erwiesen haben.
 „Unbestritten ist therapeutische Hilfe oft ratsam“, so Haupt-Scherer, „ dennoch unterschätzen die meisten Pädagogen ihre Möglichkeiten“.

Diese Arbeitshilfe richtet sich insbesondere an alle haupt- und ehrenamtlich Tätigen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendhilfe. Besonders zu benennen ist dabei momentan der gesamte Bereich der Arbeit mit Flüchtlingen. Hilfreich ist sie aber grundsätzlich für alle Menschen, die Kinder und Jugendliche in welcher Form auch immer begleiten.

 

In der 6. erweiterten Auflage finden sich erneut 2 weitere Themen, die man sich hier bereits als pdf herunterladen kann:

 

Ansprechpartner im Amt für Jugendarbeit der EKvW

Sabine Haupt-Scherer
Ehlentruper Weg 70
33604 Bielefeld
Tel.: 05 21 - 2 70 36 36
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Jasmin Müller
Telefon 0 23 04 - 755 - 193
Fax 0 23 04 - 755 - 248
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