Umgang mit sexualisierter Gewalt - „Da müssen wir besser werden!“
Auftaktveranstaltung am 08.09. „Los jetzt! Aber sicher“ eröffnete die Online-Seminarreihe: „Aktiver Kindesschutz und Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche“.
„Es geht nur gemeinsam“ sagte Christian Weber, Fachreferent für die Arbeit mit Kindern und Kindesschutz im Amt für Jugendarbeit im virtuellen Konferenzraum des Amtes für Jugendarbeit der EKvW und begrüßte damit rund 80 Teilnehmende bei der Eröffnungsveranstaltung zur Reihe „Aktiver Kindesschutz und Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche“.
„In der Jugendarbeit ist der Schutz vor sexualisierter Gewalt schon lange auf der Tagesordnung und etliche aktive Schritte wurden bereits unternommen“ berichtete Thorsten Schlüter, Webers Kollege im Amt. In den letzten Jahren habe sich in der Landeskirche viel getan, erkennt Schlüter an.
Strukturen geschaffen
Die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche und die Diakonie Rheinland- Westfalen-Lippe haben bereits im Jahr 2013 die Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS) eingerichtet und jüngst erweitert. 2019 wurde Kirchenrätin Daniela Fricke in die neu geschaffene Steller einer Beauftragten für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung in der EKvW berufen. Es wurde Schulungsmaterial entwickelt und Multiplikator*innen ausgebildet. Der nächste wichtige Schritt soll auf der kommenden Landessynode im November geschehen: Die Verabschiedung des Kirchengesetzes der EKvW zum Schutz vor sexueller Gewalt.
Einheitlich und verbindlich
Daniela Fricke erläuterte den Anwesenden die Entwicklung, die Absichten und konkreten Inhalte des durch ein Stellungnahmeverfahren überarbeiteten Entwurfs des Gesetzes. Erklärtes Ziel dieses Gesetzes sei eine einheitliche Handlungsgrundlage für Prävention, Intervention, Hilfe und Aufarbeitung - und das flächendeckend in allen Bereichen kirchlichen Lebens und Handelns. Der Umgang mit sexualisierter Gewalt solle nicht dem Zufall überlassen werden. Es brauche verpflichtende Rahmenbedingungen und Handlungslinien für alle. Anders als bisherige Absichtserklärungen soll das Gesetz verbindliche Strukturen schaffen: z.B. Meldepflichten im Verdachts- oder Mitteilungsfall, die Erstellung von Schutzkonzepten, Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen von beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden.
2740 Kinder täglich
Wie bitter nötig ein beherztes konsequentes Eintreten zum Schutz vor sexualisierter Gewalt ist, zeigte der Vortrag von Julia von Weiler von der Organisation Innocence in Danger aus Berlin. Schätzungen der WHO besagen, dass es bei uns in jeder Schulklasse durchschnittlich 1-2 Kinder gäbe, die von sexualisierter Gewalt betroffen seien. Das seien allein in Deutschland täglich mehr als 2740 Kinder, die auf Hilfe angewiesen sind. Insgesamt teile sich aber nur ein Drittel der Betroffenen jemals einer anderen Person mit. Sexualisierte Gewalt, so von Weiler, werde in über 75% der Fälle im engsten Familien- und Bekanntenkreis und dem Nahumfeld der Familie ausgeübt. Dort, erklärte die Psychologin, seien auch die unterschiedlichen kirchlichen Gruppen wie beispielsweise Konfigruppen, Freizeitmaßnahmen, Kindergottesdienst oder Pfadfindergruppen anzusiedeln.
Schutzraum bieten
Kompetenz im Umgang mit dem Thema helfe dabei, Missbrauchsfällen im eigenen System vorzubeugen und ihnen angemessen zu begegnen. Das führe dazu, dass sich Kirche mehr und mehr zu einem wichtigen Schutzraum entwickele, in dem sich Betroffene mitteilen können.
„Wenn man über sexualisierte Gewalt redet, ist heute die digitale Dimension nicht mehr auszuklammern.“, erklärt Julia von Weiler. Jeglicher Schutzmaßnahmen, und damit auch Schutzkonzepte, müssen diese digitale Dimension immer mitbedenken.
Besser werden
An verschiedenen Beispielen veranschaulichte Julia von Weiler Täter- und Täterinnenstrategien, die offenbarten, wie sehr Jugendliche strategisch handelnden Tätern und Täterinnen unterlegen und von ihnen manipulierbar sind. „Für uns als Umfeld ist es eine der großen Herausforderung zu erkennen, dass sich Täter unangemessen nähern.“, so von Weiler. Es brauche einfühlsame und informierte Ansprechpersonen, die Betroffene verstehen, Ruhe bewahren, hinsehen und dann kompetent und angemessen agieren. Von Weiler appellierte eindringlich an ihre Zuhörerinnen und Zuhörer: „Da müssen wir wirklich besser werden!“.
Einen ersten konkreten Tipp zur Verbesserung der Situation, abgesehen von zahlreichen Materialien und Fortbildungsmöglichkeiten, hatte die Expertin für die Teilnehmenden am Ende noch: „Wir müssen lernen, selbstverständlicher über dieses Thema zu sprechen. Auch mit Kindern und Jugendlichen und auch in Konfigruppen, dem Kindergottesdienst und Pfadfindergruppen.“
Die Evangelische Jugend von Westfalen - aktiv!
Bereits im Jahr 2012 veröffentlichten die evangelischen Jugenden Rheinland, Westfalen und Lippe mit der gemeinsamen Geschäftsstelle AEJ-NRW die Broschüre „Ermutigen, Begleiten, Schützen“, eine Handreichung für Mitarbeitende in der evangelischen Jugend zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Ganz aktuell erscheint nun eine völlig überarbeitete, inzwischen 84 Seiten starke, Neuauflage der Broschüre im lila Cover. Behandelte Themen sind u.a. Peer-Gewalt, Schutz im digitalen Raum, Strategien von Täter*innen und Schutzkonzepte. Zusätzlich enthält die Broschüre praktische Gruppenübungen für Schulungen und Fortbildungen sowie die aktuellen Selbstverpflichtungserklärungen der Jugendarbeit der jeweiligen Landeskirchen.
Die Online-Veranstaltungsreihe unterstützt Mitarbeitende dabei, sprach- und handlungsfähiger zu werden, inhaltlich tragfähige Konzepte zu erarbeiten, fachliche Expertise aufzubauen und an verlässlichen strukturellen Rahmenbedingungen mitzuwirken.