Saisonvorbereitung 2021

Zur Saisonvorbereitung evangelischer Jugendarbeit in Westfalen Plädoyer für einen gut gegründeten Neustart im Übergang in die Nach-Coronazeit

Erfolgreiche Sportvereine und auch Sportler*innen kennen das: Die Saisonvorbereitung legt die Grundlage für eine gute Spielzeit und anstehende Wettkämpfe. Wofür während des Spielbetriebs keine Zeit ist, dafür ist nun die Gelegenheit. Für die Arbeit an der eigenen Kondition, für Prozesse des Teambuilding und vor allem für die Formulierung von Saisonzielen und den Maßnahmen, diese zu erreichen.  
Die Evangelische Jugend in Westfalen steht an vielen Stellen nach 1 1/2 Jahren Coronapandemie und mit der Zäsur der Sommerferien vor einem Neustart.  
Dabei wird es nicht darum gehen können, das Rad der Zeit einfach zurückzudrehen. Die Welt hat sich verändert und ein Neubeginn nach Corona kann auch eine Chance sein. Knapp 50 Hauptamtliche aus dem Kontext der evangelischen Jugendarbeit in Westfalen sind der Einladung des Amtes für Jugendarbeit der EKvW gefolgt, diesen Neustart im Sinne einer "Saisonvorbereitung" anzugehen. Die Expertinnen und Experten aus den Gemeinden, Verbänden und Kirchenkreisen haben dabei die neue Situation in den Blick genommen. Sie haben sich mit wissenschaftlichen Untersuchungen zur Situation von Kindern und Jugendlichen in der Coronazeit, mit Teambuildingkonzepten und Fragen der Priorisierung bei der Entwicklung einer zukünftigen Post-Corona-Jugendarbeit beschäftigt. Und das sind einige Ergebnisse: 

  

1. Hinhören!   

An Kinder und Jugendliche wurde auf gesellschaftlichen und kirchlichen Entscheidungsebenen in der Pandemie zu wenig gedacht, es gab kaum Räume für die Mit- und Selbstbestimmung. Sie selbst formulieren dies wie folgt: 

„Wir Jugendlichen werden doch nur als Schüler gesehen. Wir sollen lernen und lernen und lernen.“ 

  • „Es geht um Homeoffice, Wirtschaft, Einkaufen und Noten. Aber unsere Gefühle und was das für mich bedeutet? Pfff.“ 

  • „Ich habe mich noch nie so ohnmächtig gefühlt.“ 

  • „Die Corona-Zeit belastet mich psychisch stark. Ich habe keinen richtigen alltäglichen Rhythmus und ich wache nachts öfter auf. Dann sitze ich dazu noch den ganzen Tag vorm Bildschirm, was mir kein gutes gesundheitliches Gefühl gibt. Ich denke, dass viele Kinder und Jugendliche unter solchen Problemen leiden. Dazu fehlt es oft an Unterstützung. Meine Eltern und Familie möchte ich nicht belasten, die haben selbst genug Probleme.“ 

Alle Zitate sind der Studie der Bertelsmann-Stiftung „Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie“ (Studie_WB_Das_Leben_von_jungen_Menschen_in_der_Corona-Pandemie_2021.pdf (bertelsmann-stiftung.de)? entnommen. 

Kinder und Jugendliche brauchen Begegnungsräume, um sich selbst in ihrer Persönlichkeit und in ihrem Leben entwickeln zu können. Der Dialog mit Gleichaltrigen stärkt Beziehungen, die von großer Bedeutung für die eigene Entwicklung sind. Wie heutige Begegnungs- und damit Erfahrungsräume aussehen sollten, dazu ist das "Hinhören" und das "Wahrnehmen" der Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen einer der wichtigsten Ausgangspunkte und ein Gebot der Stunde. 
   

2. Persönliche Begegnungsräume schaffen 

Bei der Schaffung solcher Begegnungsräume scheinen dabei weniger Events und Veranstaltungen hilfreich. Nach vielen Monaten der gemeinschaftsorientierten Internettreffen sind Vier- Sechs- etc. Augengespräch in Zukunft wieder möglich und ein großer Schatz der kirchlichen Jugendarbeit. Nach vielen digitalen Zwecktreffen in Schule und darüber hinaus, sind es vermutlich die informellen Begegnungsmöglichkeiten an Lagerfeuern, in den offenen Jugendräumen oder einfach am Rande von Gruppentreffen, die den aktuellen Bedürfnissen junger Menschen entsprechen, so eine Vermutung der Teilnehmenden des Fachtages.  
 

3. Alte Zöpfe abschneiden - Neues Groß denken 

Jugendausschüsse, Hauptamtliche, Presbyterien sollten die Chance in diesen Tagen ergreifen, um gezielt, geplant und gut vorbereitet den Neustart anzugehen.  Es braucht Mut, Altes wegzulassen und Neues nicht zu klein zu denken. Die Entscheidung, wo die Prioritäten liegen, sollte dabei in einem dialogischen Prozess gefällt werden, der von den Leitungsgremien evangelischer Jugendarbeit in enger Tuchfühlung zu den Expert*innen geführt werden muss, den Jugendlichen selbst. 

Als Anschubhilfe, sollte hier gemeinsam seitens der leitenden Stellen bedacht werden, welche Ressourcen es braucht.  Neben ggf. finanziellen Ressourcen wäre es vor allem ein gutes und wichtiges Signal, wenn die Leitungsgremien der Gemeinden und Verbände einen Neustart konstruktiv begleiten und aufkommenden Ideen eine Chance zur Erprobung geben. Hier kann eine ermöglichende und zutrauende Atmosphäre den nötigen Rückenwind zum Aufbruch geben.  
 

4. Die Jugendarbeit der Zukunft ist hybrid 

Die evangelische Jugendarbeit ist durch die Coronapandemie im digitalen Zeitalter angekommen, das ist eine der guten Entwicklungen der letzten Monate. Nun gilt es, dies weder zurückzubauen noch ganz auf digitale Formate zu setzen, sondern eine gute Mischung zu entwickeln.  
Die Zukunft der evangelischen Jugendarbeit ist hybrid. Warum? Weil heutige Jugendkultur wie selbstverständlich im analogen und digitalen Raum stattfindet. 
 

5. Mach´s wie Jesus - Bilde ein Team 

Es gehört zum kleinen 1x1 der verbandlichen Jugendarbeit, dass Ehrenamt mit der qualifizierten Begleitung durch Hauptamtliche korrespondiert. Wer sich ehrenamtlich engagiert erwartet eine qualifizierte Begleitung, das zeigen aktuelle Erhebungen. Für Evangelische Jugendarbeit erscheint es eine ratsame Priorisierung, die Mitarbeitendenentwicklung und ihre Qualifizierung in den Mittelpunkt der nächsten Monate zu stellen.   
Jugendarbeit entwickelt Dynamik vor allem durch konsequente Partizipation. Das ist auch ganz im Sinne Jesu Jünger*innen-Teambildungskonzept: Er bildet nicht nur 12 Jünger im engsten Kreis aus, sondern hat viele Jüngerinnen und Jünger, mit denen er das Leben teilt. Teams sind dabei mehr als ein Zweck. In Teams wird gearbeitet, gelebt, gefeiert. In der Vielfalt der Persönlichkeiten und der Begabungen wird hier die schöpferische Vielfalt erkennbar. Und das hat Auswirkungen nach innen und außen. 
 

6. Das Leben feiern 

Die Coronapandemie hat der Menschheit vor Augen geführt, dass das Leben in Freiheit und mit vielen Möglichkeiten ein himmlisches Geschenk ist. Als Teil der Schöpfung können wir auf unseren zukünftigen Wegen Gott, dem Schöpfer unserer wunderbaren Welt, dankbar sein. Dazu gehört es nun, nach einer ordentlichen und notwendigen Analyse, zügig das Leben wieder gemeinsam zu feiern und aktiv zu gestalten.  Mit persönlichen Begegnungen, offenen Räumen und Frei-zeiten. Um es mit dem Wunsch der Teilnehmenden für einen Rückblick in einem Jahr auszudrücken:  
“Aus Räumen des bloßen Sein-Dürfens werden im Laufe des nächsten Jahres Räume des Gestalten-Könnens und Gehört-Werdens". 

 


Pfarrer Christian Uhlstein 
und der Vorbereitungskreis der Saisonvorbereitung
des Amtes für Jugendarbeit der Ev. Kirche von Westfalen