Zertifizierung 2022

„Die Traumapädagogik hat mich verändert!“

Zertifizierung von 14 Traumapädagog*innen des Weiterbildungskurses Traumapädagogik 2022

Am 2.6.22 fand die Zertifizierung von 14 Traumapädagog*innnen durch das Amt für Jugendarbeit statt. 14 Ausbildungskandidat*innen hatten sich in 5 Modulen der Frage gestellt, was überfordernde existenzbedrohliche Stresserfahrungen mit dem Gehirn und dem Körper von Betroffenen machen und was das für Folgen für deren Denken, Fühlen und Verhalten hat. Sie einte der Wunsch, verletzte Kinderseelen sowie verletzte Seelen von Jugendlichen und Erwachsenen besser zu verstehen und ihnen besser helfen zu können. Am Ende mussten sie ihr Können in einer Hausarbeit unter Beweis gestellt und in einer Gruppenpräsentation, in der sie Hilfreiches für die traumapädagogische Arbeit präsentiert und zur Verfügung gestellt haben. Ein Kinderbuch zur Trauerarbeit mit unter Dreijährigen ist so entstanden, Konzepte zur Schulung von ehrenamtlichen Jugendmitarbeitenden und zur Schulung im Kontext Schule, ein Spiel, um über das Thema Trauma und Gewalt ins Gespräch zu kommen, eine App und eine Methodensammlung. Kolloquiumsbeisitzer Christian Weber vom Amt für Jugendarbeit zeigte sich beeindruckt. „Für manche Menschen macht ihr einen echten Unterschied in ihrem Leben!“ sagte er am Beginn der Feier.

Traumapädagogik bringt Veränderung
Ausbilderin Sabine Haupt-Scherer freute sich vor allem über die Rückmeldungen der Teilnehmenden. „Die Traumapädagogik hat vor allem mich verändert“, berichteten gleich mehrere Teilnehmende. Das sei wichtiger noch als die Erkenntnisse und Methoden, die sie mitnehmen, um Betroffene zu unterstützen. Sie würden vor allem sich selbst und Menschen in ihrem Umfeld besser verstehen. Sie seien milder und geduldiger geworden, seit sie die „Traumabrille“ aufhaben. Das Konzept des guten Grundes sei für die meisten entscheidend gewesen: immer davon auszugehen, dass Verhalten einen guten Grund hat, im System des Betroffenen einen Sinn macht, auch wenn es noch so störend und nervig sei. Daraus entstehen dann neue Perspektiven für den Kontakt und die Arbeit: Ideen, wie erschütterte Menschen wieder Boden unter die Füße bekommen können.

Drei Grundregeln der Traumapädagogik
Seelisch erschütterte Menschen brauchen vor allem drei Dinge: 1. Sicherheit, Selbstwirksamkeit und gute Beziehungserfahrungen. Erfahrungen von Sicherheit und Verlässlichkeit mildern die im Trauma erfahrene Bedrohung. 2. Selbstwirksamkeit: das Gefühl, etwas zu schaffen und verändern zu können, mildert die Ohnmachtserfahrung im Trauma. 3. Und Beziehung ist das beste Mittel gegen die Erfahrung in der traumatischen Situation mutterseelenallein ausgeliefert gewesen zu sein. In einer haltenden Beziehung kann sich ein Mensch, der am Boden zerstört ist, wieder aufrichten.

Immer wieder erzählen Teilnehmende von gelungenen Geschichten. So wurde etwa ein Heimerzieher von seinem Bezugskind gefragt, warum er schon wieder vier Tage nicht da sei. „Ich mache eine Ausbildung“, hat er geantwortet, „damit ich dich besser verstehen und dir gut helfen kann!“  Der Junge hatte daraufhin Tränen in den Augen und hat gesagt, dass er jemanden so wichtig sei, habe er noch nie erlebt. Und dann hat er gestrahlt. Dieses Strahlen auf das Gesicht dieses Jungen zu zaubern, das ist die Aufgabe, der sich die Traumapädagogik stellt. Und das ist auch die Aufgabe kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit.

Heutige Herausforderungen
Diese traumapädagogische Arbeit wird es brauchen, gerade bei den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit. Schon in der Ausbildung ist deutlich geworden, mit wie vielen traumatisierten Kindern und Jugendlichen wir es zu tun haben. Und das wird mehr werden. Traumatische Erfahrungen sind so alt wie die Menschheit. Es sind eben nicht nur die großen Katastrophen, die Seelen erschüttern und traumatisieren. Es kann der Tod des geliebten Opas sein, der Sportunfall, die Demütigung durch Mitschüler*innen oder Lehrpersonen, die einen ein Leben lang begleiten. Es kann die Angst vor Corona sein, die Quarantäne und die Hilflosigkeit der Erwachsenen, von denen man doch Schutz erwartete.

Corona und Trauma
Durch Corona kommen alte Traumata ungefragt ans Tageslicht. Wie bei dem Mädchen, das als Kind von seiner überforderten Mutter immer wieder im Keller eingesperrt wurde und die alte Panik aus dieser Zeit im Lockdown wieder erlebt.
In Zeiten von Corona wird vermehrt von Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen gesprochen: Depressionen, vermehrte Suizidalität, Essstörungen, gestörtem Schlaf-Wach-Rhythmus, aggressiven Impulsausbrüchen, Angst- und Zwangsstörungen, Unruhezuständen. All das sind auch Kennzeichen einer Traumafolgestörung und das ist kein Zufall. Die Corona-Krise wirkt auch traumatisierend, erschüttert die Seele, wirkt wie ein Erdbeben in unserer Persönlichkeit.

Ukraine-Krieg und Trauma
Und seit Februar ist der Krieg in der Ukraine hinzugekommen, traumatisierende Bilder in den Medien und eine große Verunsicherung in der Gesellschaft. Überhaupt sind es oft die Bilder, die sich einbrennen und uns nicht mehr loslassen: Bilder von Menschen, die hilflos ausgeliefert auf der Intensivstation beatmet werden, Bilder von zerstörten Häusern in der Ukraine, Bilder von Toten und von Särgen. Bei alten Menschen tauchen Bilder von den zerstörten Städten nach dem zweiten Weltkrieg wieder auf, eine alte Frau hat schon im ersten Lockdown, als das Mehl knapp wurde, gefragt „Fallen jetzt auch wieder Bomben?“ Geflüchtete Kinder aus der Ukraine kommen zunehmend bei uns an und brauchen unsere Unterstützung.

Traumapädagogik kann eine Antwort auf diese Herausforderungen unserer Zeit sein. So hat etwa eine Teilnehmende für die Zertifizierung ein Bilderbuch entworfen, dass aus der Sicht eines Kindes erklärt, warum Oma manchmal so komisch ist, warum sie Angst hat, wenn es donnert und immer noch Lebensmittel hortet. Traumapädagogik liefert Ideen, Menschen besser zu verstehen und sie zu stabilisieren, wenn sie den Boden unter den Füßen verloren haben.

Neugierig geworden? Im Amt für Jugendarbeit kann man eine Arbeitshilfe zu Traumapädagogik bestellen gegen Versandkosten, in der ein Kapitel sich auch mit der traumapädagogischen Arbeit mit Geflüchteten befasst. Gerade geht die 10. Auflage in den Druck.

Und die Weiterbildung Traumapädagogik? Der nächste Kurs, der im Oktober beginnt, ist schon ausgebucht, der übernächste beginnt im Oktober 2023.

Schließlich: Wer Ergebnisse aus den Ausbildungskursen Traumapädagogik sehen will, kann das hier auf der Internetseite des Amtes für Jugendarbeit schauen. Dort finden sich Erklärvideos und Bilderbücher zum Thema Trauma, die Teilnehmende entwickelt und für andere zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt haben.

 

Text: Sabine Haupt-Scherer

Foto: Grita Behrens

 

Ansprechpartner im Amt für Jugendarbeit der EKvW

Sabine Haupt-Scherer
Ehlentruper Weg 70
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Tel.: 05 21 - 2 70 36 36
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Jasmin Müller
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