Andacht zum Thema Inklusion

Andacht zum Thema Inklusion

Augenblick mal!

Alle gleich - alle anders. Das ist eine Binsenweisheit, die jeder unterschreiben kann.

Groß oder klein, mit und ohne Brille, deutsche Eltern oder nicht; damit kann ich etwas anfangen, aber mit Menschen mit und ohne Behinderungen? Dazu kann ich gar nichts sagen, die kenne ich nicht. In meiner Klasse hat keiner eine Behinderung, in  meinem Sportverein  und meiner Jugendgruppe auch nicht. Was meinen die denn mit Behinderung? Spastis, Rollifahrer, Blinde oder wen? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, nicht laufen zu können, immer im Rollstuhl zu sitzen und immer Hilfe haben zu müssen. Kommt man dann überhaupt überall da hin, wo man hinkommen will? Ich stelle mir das gruselig vor. Aber vielleicht ist es gar nicht so! Keine Ahnung. Vielleicht haben solche Leute ja auch Hobbys so wie ich oder hören die gleiche Musik oder sind Fans von dem gleichen Fußballverein. Wenn diese Jugendlichen in meiner Klasse wären und mit mir und meinen Freunden die Freizeit verbringen würden, dann wüsste ich mehr, dann könnte ich mit ihnen darüber reden. Das wäre dann normal.

In der Bibel gibt es eine Menge Geschichten, in denen Jesus den Menschen vorbehaltlos begegnet. Egal, ob diese behindert sind, weil sie nicht laufen, nicht sehen, nicht reden können oder von „den Normalen" als seltsam, komisch, als Außenseiter abgestempelt werden. Jesus, hält sich hier nicht an die gesellschaftlichen Spielregeln, sondern begegnet allen gleich.  Er verbringt mit ganz unterschiedlichen Menschen seine Zeit, begegnet ihnen und hört ihnen zu. Oft hat er eine Antwort für die Herausforderungen in ihrem Alltag, er hilft ihnen Neues zu entdecken, etwas das ihnen gut tun.

Am Anfang steht jedoch die Begegnung und hierfür brauche ich meine Augen, um den Anderen erst einmal wahrzunehmen. An dieser Stelle ist es an mir, zu sehen und zu spüren, da ist wer und mit dieser Person kann ich ganz unverfänglich Kontakt aufnehmen. Denn schon der Fuchs in der Geschichte des kleinen Prinzen hat festgestellt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." (Antoine de Saint- Exupéry)

Zugegeben manchmal ist „dieser Blick" ein wenig herausfordernd. Viel einfacher ist es natürlich den Anderen nach dem ersten Eindruck in eine Schublade zu sortieren und zu sagen, der oder die ist cool, kann eine Menge und deshalb lohnt es sich mit ihnen Zeit zu verbringen. Für den Blick mit dem inneren Auge spricht jedoch die Geschichte von Paul Potts. In der britischen Castingshow „Britain´s Got Talent"  (http://www.youtube.com/watch?v=1k08yxu57NA) hat er auf den ersten Blick eigentlich nur die Chance ziemlich schnell rauszufliegen, doch weit gefehlt: Die inneren Qualitäten machen Paul Potts zu einem Star, der heute gerne zu Talkshows eingeladen wird.

Letztendlich ermutigt uns die Bibel dazu, die Menschen um uns herum mit einem besonderen Blick wahrzunehmen. In einem Gespräch zwischen Gott und dem Propheten Salomo fällt folgender Satz:  „Für die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen können; ich dagegen schaue jedem Menschen ins Herz." (1. Sam. 16,7) Samuel bekommt von Gott den Auftrag, einen neuen König auszuwählen und gleichzeitig seine Auswahl nicht auf rein äußerlichen Kriterien wie Aussehen und Größe zu beschränken, sondern anderen Maßstäbe anzulegen und dem Menschen mit dem Herzen zu begegnen. Samuel lässt sich auf dieses Unterfangen ein und wählt den Hirtenjungen David - den bedeutendsten König des Volkes Israel - aus. Ein Mann, der von seiner Geschichte her, im Grunde genommen unspektakulär und unbedeutend erscheinen musste, doch später wurde er zu einem Helden.

Nun, vielleicht sind diese Beispiele eine Ermutigung uns in der Bewertung unserer Mitmenschen einen Augenblick Zeit zu nehmen, um sie mit unseren „inneren Augen", unserem Herzen wahrzunehmen und in dieser Begegnung das Besondere an und gemeinsam mit ihnen zu entdecken?!

 

Aktionen für die Gruppe:

Ø      Wahrnehmungsübung: Im Rahmen dieses Inputs bekommen die Anwesenden die Aufgabe, ihrem Nachbarn/ ihrer Nachbarin eine positive Eigenschaft oder ein besonderes Charaktermerkmal auf ein (zuvor) nett gestaltetes Papier / eine Karte zu schreiben und am Ende der Übung ihm/ihr verdeckt weiter zu reichen.

Ziel: Es wird etwas an dem Anderen entdeckt, was auf den ersten Blick nicht unmittelbar erkennbar ist.

Ø      Realitäts-Check: Alle Teilnehmer der Gruppe werden aufgefordert sich mit einem Handicap zu versehen (Augenklappe, improvisiertes Gipsbein, Laufen an Gehhilfen, Fahren im Rollstuhl o.ä.). Aufgeteilt in Kleingruppen fahren die Jugendlichen in die nächste Stadt/ den nächst größeren Ort und verbringen eine Zeit in der City. Wichtig: Alle Beteiligten sollten sich an die Spielregeln halten und das Handicap beibehalten, bis sie wieder an den Startort zurückkehren.

Die Aktion sollte mit einer gemeinsamen Gruppereflektion ausgewertet werden.

Ziel: Durch diese Aktion wird die Wahrnehmung geschärft und ein besseres Verständnis für Menschen mit einem Handicap hergestellt. Ggf. können Vorurteile abgebaut werden, in denen Menschen mit einer Behinderung auf den ersten Blick als Verlierer abgestempelt werden.

Dezember 2009, Eva Beeres-Fischer, Silke Gütlich

 

Literaturtipp:

Ø     Der Olympiasieger (der Paralympics) Rainer Schmidt beschreibt in seiner Biographie „Lieber Arm ab als arm dran. Grenzen haben - erfüllt leben.Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, 2007, sein Leben ohne Arme.